Ein Gastbeitrag meiner geschätzten Autorenkollegin und Fremdsprachenexpertin Ines Balcik, die außerdem eine hervorragende Tennisspielerin und Schwimmerin ist. Diesjähriges Highlight: Bosporusschwimmen von Asien nach Europa, stramme 6,5 Kilometer – und in ihrem Blog verrät Ines, dass sie schon wieder etwas Neues ausheckt für 2012.
Hier Ines‘ Beitrag im Rahmen einer Blogwichtelaktion des texttreffs, ein wunderbares Netzwerk, das uns beide schon lange miteinander verbindet.
Das deutsche Verhältnis zwischen Literatur und Sport ist offenbar gestört. Dass es eine (ein wenig verlassen wirkende) Website namens Literatur und Sport gibt und 1998 eine (eine!) Dissertation mit dem Titel Sport in der Literatur erschien, ändert nichts am Grundsätzlichen. Erik Eggers zum Beispiel, Journalist und Autor mit Fokus auf Sportthemen, möchte sich nicht damit abfinden, dass die deutsche Literatur den Sport ignoriert, und notiert „Anmerkungen zu einem seltsamen Dilemma“.
Also ich finde das Dilemma gar nicht seltsam. Denn nach intensiven Forschungen auf diesem Gebiet bin ich zu einer eindeutigen Diagnose gelangt. Das ganze Übel ist zwei simplen Umständen geschuldet.
1. Sport bedeutet in Deutschland nur eins: Fußball, Fußball, Fußball. Um das festzustellen, reicht Grundschulmathematik. Man sehe sich exemplarisch Eggers‘ Abhandlung an: Das Wort Fußball kommt darin insgesamt 28 Mal vor. Zum Vergleich: Sportart/Handball/Laufen/Sprung: null Treffer. Immerhin kommen je ein einziges Mal Turnen und Boxen vor, ein Hoffnungsschimmer. Das Wort fit ist übrigens genau zwei Mal zu finden – nicht als eigenständiges Wort allerdings, sondern in profitiert und Profitquelle. Nachtigall, ick hör dir trapsen, heißt es nach Des Knaben Wunderhorn so schön. Aber ernsthaft, ich frage euch: Wie kann Literatur herauskommen, wenn wir das Sportfeld nur den Fußballern überlassen?
2. Diesen Punkt möchte ich lieber nicht statistisch belegen. Vertraut meiner Lebenserfahrung, wenn ich an dieser Stelle konstatiere: Menschen, die in der deutschen Literatur das Sagen haben, sind in der Regel diejenigen, die beim Schulsport als Letzte ins Team gewählt wurden. Also die, die in die Rubrik unsportlich fallen. Und die glücklich sind, dass sie den Muskelprotzen endlich eins auswischen können. Wen wundert es, dass ihr Verhältnis zum Sport getrübt ist?
Nachdem die Ursachen für die Missstimmungen nun benannt sind, ist klar, dass im Verhältnis Literatur und Sport bisher an der falschen Stelle angesetzt wurde. Es kommt nicht darauf an, Literatur über Sport zu schreiben. Umgekehrt wird ein perfektes Sportschuhpaar daraus: Literatur schreiben ist wie Sport treiben. Und plötzlich ergibt sich alles wie von selbst. Wir können folgende sechs Typen von Schreibsportlerinnen und Schreibsportlern unterscheiden.
1. Der fleißige Freizeitkicker ist ein Teamplayer durch und durch. Er ist nicht nur im Fußball zu finden, sondern in jeder Sportart, die in einem Verein betrieben wird. Besonders ausdauernd und eifrig ist er beim geselligen Teil nach dem Sport. Gerne schreibt er Romane. Am liebsten sehr lange Romane nicht unter tausend Seiten.
2. Der spritzige Sprinter heimst gerne Lorbeeren ein und will gelobt werden. Er fasst sich kurz und schreibt Kurzgeschichten à la Ernest Hemingway oder Kolumnen für den schnellen Ruhm à la Achim Achilles.
3. Der Nordic Walker ist, anders als seine klackernden und pieksenden Stöcke vermuten lassen, sehr empfindsam. Poesie und Lyrik ist sein bevorzugtes Schreibgebiet. Ein früher Vertreter ist Theodor Storm: „Von drauß‘ vom Walde komm ich her, ich muss euch sagen …“
4. Der trickreiche Tennistaktiker ist ein guter Blender: mäßig begabt, mäßig erfolgreich, aber wendig genug, sich irgendwie aus der Affäre zu ziehen. Er schreibt bevorzugt Sportratgeber und Biografien über berühmte Sportlerinnen und Sportler.
5. Der extreme Ausdauersportler hat kaum Zeit zum Schreiben, weil er ständig trainiert: Marathon, Ironman, Wintertriathlon … Mehr als eine SMS hier und ein Tweet da ist nicht zu erwarten.
6. Der geniale Gipfelstürmer ist der perfekte Sportschreiber. Sein Spezialgebiet sind Krimis. Ich bin weder Bergsteigerin noch kann ich Krimis schreiben. Aber als Kind hatte ich eine Schallplatte mit Till-Eulenspiegel-Geschichten. Am liebsten hörte ich, wie Till beim Bergaufgehen pfeift, weil er sich freut, dass der Weg auf der anderen Seite wieder heruntergeht. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen, denn so ist es im Leben, mit dem Schreiben und beim Sport: Es geht ständig bergauf und bergab, mit beidem müssen wir zurechtkommen und ein bisschen Mühe ist auch immer im Spiel. Seltsam nur, dass Till Eulenspiegel als Narr gilt.
Neben den bereits erforschten sechs Schreibtypen gibt es mehrere Untergruppen und Mischformen , die aber noch nicht hinreichend untersucht und kategorisiert sind. Zum Schluss habe ich noch eine Frage: Lisa, wann kann ich einen Sportkrimi aus deiner Feder lesen?
Ines, danke für den wunderschönen Beitrag, voller Humor! Da sehe ich die Literatur doch gleich in einem neuem Licht. Eva Maria
Wunderbar!
Ich hatte übrigens einen grandiosen Deutschlehrer, der ein Fußball-As war. Das kam mir als Schülerin immer sehr merkwürdig vor. Jetzt weiß ich auch, warum. 😉
Ich bekenne: Ich bin auch so eine Sportgestörte, Schreibversessene. 🙂 Gilt Spazierengehen (nicht schleichen, sondern schon schnell!) als Sport?
Natürlich! 🙂
[…] Ines Balcik bringt Literatur und Sport zusammen: Sport ist Mord und Schreiben ist auch nur ein Sport […]